Alice im Wunderland

von Roland Schimmelpfennig
Bayerische Theaterakademie August Everding, München

Musik: Katharina S. Müller und Sam Penderbayne
Musikalische Leitung: Tobias Peschanel
Inszenierung: Levin Handschuh
Bühne und Kostüme: Katharina Kreßler
Dramaturgie: Clio Unger
Masken: Stefanie Bartok und Johanna Eckhardt
Licht: Bernd Gazmaga
Ton: Sebastian Heiland

mit
Konstanze FISCHER
Veronika HÖRMANN
Barbara KRZOSKA
Theresa MARTINI
Antonia WELKE
sowie
Lea-Sue HIESCHE
Claudia MARTINI
und
Moritz EGGERT

22. und 23. JULI 2014

Bayerische Theaterakademie August Everding und Hochschule für Musik und Theater mit dem Studiengang Regie (Leitung: Prof. Sebastian Baumgarten)


(c) Fotos: Regine Heiland

Alice: Und wenn ich nicht zu Verrückten will?
Katze: Da kannst du nichts machen, verrückt sind wir alle. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.

Lewis Carroll’s Alice in Wonderland erzählt die Geschichte des Erwachsenwerdens in einer “verrückten” Welt. Erstickt vom staubigen Viktorianismus ihres Elternhauses flieht Alice durch den Kaninchenbau ins Wunderland. Und eine Verrücktheit löst die andere ab: Figuren wie der Hutmacher, die Grinsekatze und die Herzkönigin zeigen Alice ein Fantasiereich, das zunächst nach großer Freiheit aussieht. Schnell wird jedoch klar, dass es hier um eine Welt geht, in der gesellschaftliche Regeln und Konventionen radikal zu Ende gedacht werden.

Für Alices Abenteuer gibt es viele Deutungen. Während manche das Ganze für ein Spiel mit mathematischer Logik halten, betonen andere die psychoanalytischen Untertöne der Geschichte. Und wieder andere schwören darauf, dass es sich bei der Erzählung um die ausführliche Beschreibung eines LSD-Trips handelt. Lewis Carroll selbst betont die Entstehung der Geschichte: die einzelnen Episoden seien allein zum Zeitvertreib bei nachtmittäglichen Bootsfahrten entstanden und waren eher als flüchtigen Momentaufnahmen gedacht. Schriftlich fixiert hat er sie erst Jahre später.

Vielleicht ist es der Vielseitigkeit und Universalität des Stoffes zu danken, dass sich seitdem zahlreiche Alice-Adaptionen ins Gedächtnis der Popkultur eingeschrieben haben. Von Walt Disney bis Tim Burton – jede Neuinterpretation entwirft ihre eigene Bildwelt und eine ganz eigene “Verrücktheit”. In Levin Handschuhs Diplominszenierung wird das Wunderland zum Einbrecher. Nicht länger fernes Fantasiereich, fällt es ein in Alices Zuhause. Die beiden Welten treffen zusammen, reiben sich aneinander, ineinander und vielleicht auch aneinander auf. Roland Schimmelpfennings sprachlich virtuose Fassung bietet den Hintergrund für ein Spiel mit Identitäten: Was macht uns zu der, die wir sind? Inwiefern konstruieren, performen und behaupten wir uns selbst?

Auch in der Komposition wird dieses Ineinanderwirken der Welten erfahrbar. Die Musik schwankt zwischen Extremen: Kammermusik und Elektro-Klänge kämpfen um die Oberhand und die Frage nach dem Gewinner wird letztlich zur Frage der Selbstbehauptung. Welche Realität darf gelten? Wessen Geschichte darf erzählt werden? Das Wunderland wird zum Abgrund, der die Instabilität einer als sicher geltenden Bürgerlichkeit enttarnt und gleichzeitig den Wunderland-Gedanken in seiner Radikalität entlarvt. Durch ein Wechselspiel von Sprache, Maske und Musik entsteht ein popkulturelles Kaleidoskop das die Fragilität unserer Realitäten verzerrt, vergrößert und wiederspiegelt.